Der Esstisch ist selten groß genug, die Waschmaschine läuft im Dauerbetrieb. Großfamilien benötigen Raum, doch in der Realität kämpfen sie mit Quadratmetern, die eher für einen Dreipersonenhaushalt ausgelegt sind. Der Markt spiegelt ihre Bedürfnisse kaum wider – und wenn doch, dann oft zu Preisen, die kaum jemand in dieser Situation stemmen kann. Die Folge ist ein Alltag, der sich nicht nur beengt anfühlt, sondern langfristig auch soziale, gesundheitliche und psychologische Auswirkungen haben kann.
Umzug als Hürde - Wenn Platz unbezahlbar wird
Auch wenn eine größere Wohnung verfügbar ist, steht eine Großfamilie vor einer logistischen und finanziellen Herausforderung: dem Umzug. Ein preiswerter und professioneller Umzug kann für viele Familien ein entscheidender Hebel sein, um sich überhaupt für einen Wohnortswechsel entscheiden zu können. Ohne einen preiswerten und professionellen Umzug bleibt der Gedanke an mehr Platz oft ein Traum, der an der Realität zerbricht. Die Organisation eines reibungslosen, preiswerten und professionellen Umzugs erfordert jedoch nicht nur Planung, sondern auch Unterstützung – die viele nicht haben. Wohnungen mit mehr als fünf Zimmern sind ohnehin selten, und wenn sie verfügbar sind, befinden sie sich oft in Randlagen oder ländlichen Regionen. Dort aber fehlen Infrastruktur, Schulen oder medizinische Versorgung. Es entsteht ein Dilemma: Mehr Raum bedeutet nicht automatisch mehr Lebensqualität, wenn das Umfeld nicht mitwächst.
Das System übersieht die Größe – und die Bedürfnisse
Politik und Wohnungsbau scheinen auf Ein- bis Vierpersonenhaushalte optimiert. Wohnbaugesellschaften planen und bauen nach Durchschnittsbedarf, nicht nach Randgruppen – und Großfamilien gelten genau als solche. Dabei zeigen Studien, dass Haushalte mit mehr als fünf Personen besonders häufig von Wohnraummangel betroffen sind. Die energetische Sanierung bestehender Gebäude verschärft die Situation zusätzlich, da Mieten steigen und größere Wohnungen aufgeteilt oder luxuriös saniert werden. Wer mit sieben Personen auf 85 Quadratmetern lebt, hat keine Lobby. Dabei wären kreative Wohnkonzepte, flexible Grundrisse oder genossenschaftliche Bauprojekte längst denkbar. Es fehlt jedoch am politischen Willen, Familien mit mehr als drei Kindern als eigene Zielgruppe im Wohnbau zu begreifen. Stattdessen bleibt ihr Alltag geprägt von Improvisation: Klappbetten, geteilte Schränke, gestaffelte Tagesabläufe. Der Mangel an Raum wird zur täglichen Belastung – und zur stillen Krise.
Würde beginnt bei der Wohnfläche
Der Wohnraum ist mehr als ein Dach über dem Kopf. Für Großfamilien ist er der Ort, an dem Leben in all seiner Vielfalt stattfindet – mit Chaos, Lautstärke und Nähe, aber auch mit Rückzugsbedarf, Konflikten und dem Wunsch nach Struktur. Wenn sich sechs Menschen ein Badezimmer teilen, bleibt oft keine Zeit für persönliche Routinen. Kinder lernen in der Küche, weil der Schreibtisch von der Schwester besetzt ist. Eltern führen Gespräche im Flur, weil es sonst keinen ruhigen Ort gibt. Dabei ist Würde eng an Raum gekoppelt: Wer sich ständig arrangieren muss, hat kaum die Chance, ein Gefühl von Zuhause zu entwickeln. Es geht nicht um Luxus, sondern um Funktionalität, Alltagstauglichkeit und ein Umfeld, das Entwicklung erlaubt. In einem System, das den Raum als Ware behandelt, geraten große Familien unter die Räder. Ihre Stimmen bleiben leise – dabei erzählen sie von einem Grundrecht, das längst nicht mehr selbstverständlich ist.